Der folgende Artikel befasst sich mit dem Verhältnis von Interrogativer Ethik und Demokratie unter besonderer Berücksichtigung der Legitimation.
Darf in einer Diktatur, einer Despotie, einem autoritären Regime oder einer Autokratie kritisch gefragt werden? Dürfen die Herrschenden und ihre Entscheidungen befragt und infrage gestellt werden? Nein! Jeder, der in diesen unterdrückenden Staatsformen Fragen stellt, muss Repressalien, Gefängnis oder sogar den Tod fürchten. Dies geht so weit, dass Diktaturen sogar ganze Völker zu vernichten versuchen, wie es in der Ukraine und in anderen Bürgerkriegsregionen zu sehen ist, deren Bürger sich Fragen nach ihrer eigenen Staatskonstitution, der Regierungsform und der Zugehörigkeit zu einem Militärbündnis stellen. Dabei wird die Liste der Herrscher immer länger, die ohne Legitimation Völker misshandeln, Menschen unterdrücken, Nachbarländer angreifen oder ausbeuten und sich nicht um das Völkerrecht scheren. Selbst die Demokratie in den USA scheint im Moment in eine präsidiale Autokratie abzugleiten. Die UNO ist in einem erbärmlichen Zustand. Sie kann dieses Unrecht nicht verhindern und ihren Auftrag, den Weltfrieden zu sichern, nicht erfüllen. Immanuel Kants Hoffnungen auf einen "ewigen Frieden" scheinen dahin.
Ganz anders ist es in den liberalen Demokratien. Sie garantieren individuelle Freiheiten, Menschenrechte, Gewaltenteilung, Verfassung und Rechtsstaatlichkeit. Sie sichern Bürgerrechte, aber auch das Recht der Bürger grundsätzliche politische Fragen zu stellen und seine Meinung zu äußern. Es finden politische Debatten und Diskurse statt. Die Presse kann darüber frei berichten. Diese Erlaubnis ist aber nicht nur äußerlich, da die liberalen Demokratien konstitutiv mit ihren Bürgern verbunden sind. Ohne Bürger gibt es keine Demokratie. "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" (Art. 20 Absatz 2 GG). Und es wird präzisiert: "Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen (...) ausgeübt" (Art. 20 Absatz 2 GG). An der Wahlurne und mit all seiner Partizipation (politische Ämter, Demonstrationen, Volks- und Bürgerbegehren, Petitionen usw.) ist der einzelne Bürger der Souverän. Ihm wird die Kompetenz zugetraut, zu bestimmen und die Demokratie zu gestalten. Bürger sind die höchste und einzige Legitimationsinstanz des Staates.
Die Interpretation der Interrogativen Ethik verstärkt dieses Verständnis noch. Die konstitutive Form der Frage für die Philosophie des politischen Handelns ist obligatorisch für die Legitimation. Was bedeutet das? Im innersten Kern der Begründung werden Ideologien, ungerechtfertigte Vorannahmen, Fragepräferenzen und Fragepräsuppositionen abgelehnt. Diese Formen werden verschlüsselt und liegen nur als Chiffre der Fraglichkeit vor. Der private Code der Ethikbegründung ist nicht allgemein entschlüsselbar - nur durch ein Individuum. So wird das Individuum Träger der Begründungslast, aber auch Träger der Begründungskraft. Im systematischen Zusammenhang der "Erläuterungen zur Interrogativen Ethik" ist diese Individualität Singularität, da ihr die Substanzmetaphysik zum Personenbegriff fehlt. Der so gereinigte Fragebegriff (Reine Frage) erlaubt es dem fragenden Bürger, philosophische Fragen zu stellen, die auch politisch-philosophisch wirksam werden. Es sind die Grundfragen der Staatskonstitution und Legitimation.
So können zwei Interpretationen der Legitimation der Demokratie genannt werden:
a) Die Legitimation der Demokratie durch freie und gleiche Bürger (die gängige Interpretation)
b) Die Legitimation der Demokratie durch die Interrogation der Bürger (die neue Interpretation)
Die zweite Form ist die stärkere, sie sichert das konstitutive bzw. kointerrogative Recht des Bürgers, die Demokratie als Individuum zu begründen. Fragen und Begründen hängen untrennbar zusammen. Demokratie ist notwendig immer interrogativ, so dass von einer Interrogativen Demokratie gesprochen werden kann, um zu verdeutlichen, welchen herausragenden Stellenwert die Frage in einer Demokratie hat. Damit schließt sich der Kreis: In einer Interrogativen Demokratie darf und muss vom Bürger konstitutiv bzw. kointerrogativ gefragt werden, sonst handelt es sich nur um eine schwach begründete Form der Demokratie. Nicht jedes Recht ist legitim, sondern nur das interrogative Vernunftrecht, wie es in den "Erläuterungen zur Interrogativen Ethik" skizziert wurde.
J.H.
Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Artikel das generische Maskulinum verwendet. Die verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich auf alle Geschlechter.
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